Wenn an der Nordsee die Sturmflut über den Deich peitscht und der Wind durch die Gassen der kleinen ostfriesischen Städte pfeift, dann ist das der perfekte Zeitpunkt, um es sich in der warmen Küche – bestenfalls vor dem Kamin – bequem zu machen und erst einmal einen Tee zu trinken. Und genau das können sie richtig gut, die Ostfriesen. Es gibt kaum etwas, das mehr mit Gemütlichkeit in Verbindung gebracht wird, als die ostfriesische Teetied. Und die ist Pause, Teegenuss und Entschleunigung in einem.
Ostfriesische Teetied: Abwarten und Tee trinken
Die ostfriesische Teetied erfolgt bis heute nach einem strengen Ritual und das beginnt bereits bei der Auswahl des richtiges Tees und endet mit dem richtigen Wasser. Denn nur, wenn das besonders weich ist, kann der Tee sein volles Aroma entfalten. Zuerst kommt ein Stück Kluntje (Kandiszucker) in die Tasse, dann wird der Tee eingegossen. Wer genau hinhört, kann den Kandis leise knistern hören, wenn der heiße Tee die Tasse trifft. Zuletzt verfeinert ein Schuss Sahne das Getränk. Die wird mit einem speziellen Sahnelöffel 🛒 kreisförmig und gegen den Uhrzeigersinn in die Tasse gegossen. Mit diesem Ritual hält der Ostfriese die Zeit an und hat sich sein Päuschen redlich verdient. Eines aber ist bei dieser Zeremonie streng verboten: den Tee umzurühren. Denn sonst verpasst man womöglich das wohl Schönste der Teezeremonie, das Aufsteigen der kleinen Sahnewölkchen nämlich, die auch Wulkje genannt werden. Der Löffel, der jeder Teezeit beiliegt hat eine andere Funktion. Wer seinen Teedurst gestillt hat, legt ihn einfach in die leere Tasse und zeigt so an, dass kein weiterer Tee nachgeschenkt werden soll.
Teetied: Einfach mal die Zeit anhalten
Wer den Tee nicht in den eigenen vier Wänden trinken möchte, der bekommt das starke, schwarze Getränk auch in einer der Teestuben serviert, die es in Ostfriesland zahlreich gibt. Die kleinen Cafés strahlen eine behagliche Gemütlichkeit aus, die vor allem in den kalten Monaten eine magische Anziehungskraft ausübt. In der Ecke steht ein alter Kachelofen, der eine wohlige Wärme ausstrahlt und der Tee wird in einem kitschig anmutenden Service 🛒, das mit einer Wildrose bemalt ist, serviert. Es wirkt fast so, als wäre die Zeit einfach irgendwann stehen geblieben. Aber genau das macht auch den Charme der Teestuben aus und schließt den Kreis zur ostfriesischen Teetied. Denn schließlich soll bei der Tasse Tee ja auch die Zeit angehalten werden. So ist es auch keine Überraschung, dass der Ostfriesentee weit mehr als nur ein Heißgetränk, sondern auch ein Symbol für Gastfreundschaft ist.
Drei Tassen sind Ostfriesenrecht
Bereits am Morgen weckt der Ostfriese seine Lebensgeister mit einer wärmenden Tasse des kräftigen Tees. Die nächste Teepause folgt um 11 Uhr, der sogenannte Elführtje. Am Nachmittag sowie am Abend darf dann auch noch einmal am Tee geschlürft werden, dann gerne auch mit einen Stück ostriesischer Rosinstuten oder Friesentorte. So schafft es der Ostfriese insgesamt auf knapp 2,5 Kilogramm Tee im Jahr, was rund 290 Litern oder auch 300.000 Tassen entspricht. Mindestens drei Tassen am Tag müssen es aber mindestens sein, schließlich heißt es in Ostfriesland: „Dree is Oostfresen Recht“, was so viel bedeutet, wie „Drei Tassen sind Ostfriesenrecht“.
Man mag es sich kaum vorstellen, aber in Sachen Teekonsum überholt Ostfriesland mit seinen nicht einmal 500.000 Einwohnern sogar eine Teenation wie England. Mit knapp 300 Litern des Heißgetränks pro Kopf liegt der Ostfriese deutlich über dem Teekonsum der Briten. Die bringen es gerade einmal auf rund 170 Liter pro Kopf und Jahr.
Von sturen Ostfriesen und anderen Vorurteilen: Ostfrieslands Weg zur Tee-Nation
Über die Ostfriesen existieren mindestens genauso viele Witze wie Vorurteile. Etwas eigen sollen sie sein und wortkarg und stur. Oh ja, stur sind sie wirklich. Denn ohne diese Eigenschaft würde es die ostfriesische Teetied heute vermutlich gar nicht mehr geben. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts brachten die Holländer über den Seeweg den Tee mit nach Ostfriesland. Doch kaum hatten die Ostfriesen den Tee für sich entdeckt, wurde ihnen der Genuss 1778 durch einen Erlass von Friedrich des Großen auch schon wieder verboten. Der Grund: der dramatische Einbruch des Bierkonsums. Fortan galt Tee als „chinesisches Drachengift“. Mit seinem Verbot des Getränks hatte der Alte Fritz die Rechnung aber ohne die Ostfiesen und ihre berühmte Sturheit gemacht. Die schmuggelten ihr Lieblingsgetränk nun einfach auf geheimen Routen ins Land und strotzten so dem Verbot. Nur zwei Jahre später wurde das Gesetz wieder zurückgenommen und so konnte sich Ostfriesland in Ruhe zu der Teenation entwickeln, die sie heute ist.
Teetrinken als immaterielles Weltkulturerbe
Kein Wunder also, dass diese Liebe und die damit verbundene Kunst des Teetrinkens auch bei der UNESCO nicht unentdeckt blieb. 2016 nahm diese die ostfriesische Teekultur in die Liste der immateriellen Weltkulturerbe auf. Die ostfriesische Teetied ist seitdem in bester Gesellschaft, umgeben von Großartigem wie dem Backen neapolitanischer Pizza, der Kunst des Geigenbaus oder dem Operngesang.
Ostfriesentee: kräftig und aromatisch
Wenn in Ostfriesland die Teetied ansteht, dann darf aber nur ein ganz bestimmter Tee verwendet werden. Ein echter ostfriesischer Tee muss stark, kräftig und dunkel mit typisch rot-brauner Färbung sein. Dabei kommt es auf die richtige Mischung an. Die besteht zu einem Großteil aus Assam-Tee, dem zusätzlich weitere Sorten wie Ceylon, Java oder Darjeeling beigefügt werden. Übrigens: Echter Ostfriesentee darf sich nur nennen, wenn er auch in Ostfriesland „hinter dem Deich“ gemischt worden ist. Alles andere sind nur ostfriesische Teemischungen. Auf diesen kleinen aber bedeutenden Unterschied sollte man daher unbedingt achten, möchte man selbst einmal eine Teetied zelebrieren.
Nun musst du nicht in Ostfriesland wohnen, um in den Genuss einer traditionellen Teetied zu kommen. Eine Teekanne, Kandiszucker, eine hübsche Tasse, eine (echte) ostfriesische Schwarzteemischung, ein Stövchen und ein bisschen Sahne reichen aus, um sich an einem kalten und ungemütlichen Wintertag auch an jedem anderen Ort eine Teepause im ostfriesischen Stil zu gönnen. Nur auf eines musst du dabei wohl oder übel verzichten – das Rauschen der tosenden Nordsee bei Sturm.
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