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Die Cucina Povera Italiens zeigt sich so modern wie nie zuvor

Die einfache Landbevölkerung Italiens legte mit jahrhundertelanger Kochkunst den Grundstein für die heute so beliebte Cucina Povera.

Die Toskana Italiens hat viele Gerichte der Cucina Povera hervorgebracht.
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Dass italienisches Essen weltweit leidenschaftlich gern gegessen wird, weißt du sicher auch aus eigener Erfahrung. Doch ist dir der Begriff Cucina Povera bekannt? Wörtlich übersetzt bedeutet er „arme Küche“, bildlich übersetzt geht es hier um nichts weniger als die italienische Kunst des guten Essens. Und die solltest du kennen.

Cucina Povera: mittelalterlich und auf der Höhe der Zeit

Wie viele geniale Einfälle ist die Cucina Povera aus einer Not heraus entstanden. Sie beschreibt eine Vielzahl an traditionellen Gerichten, die drei Eigenschaften erfüllen: schlicht, günstig, lecker. Mit Einfallsreichtum und regional verfügbaren, günstigen Zutaten musste die italienische Landbevölkerung ihren Speiseplan gestalten.

Die Cucina Povera ist die Küche der einfachen Leute, die von Italien aus die Welt erobert hat. Credit: stock.adobe.com/ Jarek Pawlak

So perfektionierte sie über Jahrhunderte hinweg die Kunst, aus den schlichtesten Lebensmitteln das Beste zu machen. Regional angebautes und saisonal verfügbares Gemüse, Hülsenfrüchte und altbackenes Brot kamen und kommen häufig auf den Teller, gleichzeitig verzichtet die Cucina Povera gern auf Fleisch. Es braucht keine speziellen Gerätschaften, Techniken und Kochkünste, um aus diesen Zutaten etwas Wunderbares zu zaubern. Meist sind die Gerichte der Cucina Povera schnell zubereitet oder köcheln lange vor sich hin.

Nachhaltigkeit wird in der italienischen Küche groß geschrieben

Weggeworfen wird nichts. Und sollte doch etwas Fleisch auf dem Tisch landen, dann keine edlen Teile wie ein Filetstück – nein, das Tier wird respektiert und im Ganzen verwertet. Deshalb kommen auch weniger zarte Stücke auf den Teller, die lange schmoren müssen. In Vorbereitung auf den Winter wird fleißig gepökelt, eingelegt und konserviert.

Diese Philosophie ist heute so modern wie nie zuvor. Allein in Deutschland werden jedes Jahr elf Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt. Gleichzeitig wachsen das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung und der Wunsch bei vielen Verbrauchern, dem etwas entgegenzusetzen. Längst haben auch Themen wie Klimawandel und Globalisierung den heimischen Teller erreicht und verlangen dem Endverbraucher wichtige Entscheidungen ab.

Die Cucina Povera kommt mit ihrer zeitlosen Philosophie deshalb gerade recht. Trotz der Einfachheit ihrer Gerichte schafft sie es, die Aromen Italiens in Perfektion einzufangen. Sie zeigt uns, dass das Gute naheliegt und die einfachsten Dinge noch immer die besten sind. Ein Blick in die Cucina Povera beweist, dass günstiger, gesundheitsbewusster und nachhaltiger Genuss möglich ist.

Lediglich die großzügige Verwendung von Olivenöl offenbart das Alter vieler Gerichte. In Zeiten explodierender Olivenöl-Preise ist das flüssige Gold schon länger kein selbstverständlicher Teil der Arme-Leute-Küche mehr. Dank der Verwendung anderer günstiger Lebensmittel lässt sich dieses Detail jedoch besser verschmerzen.

Not macht erfinderisch

Viele Gerichte der Cucina Povera haben längst die Spitzenküche erobert. Gleichzeitig gehören sie seit Generationen zum Speiseplan unzähliger italienischer Familien. Die Cucina Povera verbindet.

Karge Böden machten der Landbevölkerung das Leben schwer, die mit der Cucina Povera erfinderisch werden musste. Credit: stock.adobe.com/Giuma

Werden ältere Nonnas und Nonnos danach gefragt, was früher zu Hause auf den Tisch kam, beschreiben sie die Speisen gern als „poco, ma buono“ – wenig, aber gut. Allzu sehr dürfen wir die Cucina Povera jedoch nicht romantisieren. Sie entstand in Zeiten, als Italien noch landwirtschaftlich und vormodern geprägt war. Die Landbevölkerung war arm und lebte in Dörfern und Kleinstädten in einfachsten Verhältnissen. Die meisten waren Bauern und bestellten karge Felder, die insbesondere in Süditalien wenig hergaben.

Die schwierigen Verhältnisse in Italien waren der Auslöser für die größte Massenmigration der jüngeren Geschichte. Etwa 25 Millionen Menschen suchten zwischen 1860 bis zum Wirtschaftsaufschwung der 1960er Jahre ihr Glück in Europa, Nord- und Südamerika. Besonders in den USA und in Argentinien haben Italiener die Kultur in entscheidender Weise geprägt. Mit im Gepäck: die Cucina Povera, die in der Ferne für ein Stück Heimat sorgte.

Rezepte: Cucina Povera in deiner Küche

Damit die Cucina Povera auch in deiner Küche Einzug halten und für wohlige Wärme sorgen kann, findest du bei uns eine wachsende Anzahl an leckeren Rezepten. Davon sind viele von Haus aus vegetarisch oder sogar vegan.

Einfache Zutaten und unglaublich viel Geschmack: Das zeichnet die Cucina Povera aus. Credit: stock.adobe.com/ArtSys

Fangen wir wider Erwarten jedoch mit einem Fleischgericht an: Ossobuco besteht aus geschmortem Rindfleisch, das in einem Sud aus Gemüse und zahlreichen Gewürzen ein unvergleichliches Aroma entfaltet. Dass in der Cucina Povera altes Brot nicht weggeworfen wird, ist kein Wunder. Schließlich kann man so herrlich aromatische Speisen wie Pappa al pomodoro oder Panzanella daraus zaubern. Ersteres ist eine köstliche Tomatensuppe, in die Brot eingerührt wird, das für Sämigkeit und Sättigung sorgt. Bei Letzterem wird das Brot extra knusprig angeröstet und mit frischem Gemüse zu einem herrlichen Salat angerichtet.

Ein Gericht wie aus Nonnas Rezeptesammlung und ein echter Geheimtipp sind cremige Frascarelli. Hier werden Reis und Mehl zu einer Masse verarbeitet und zu einer Tomatensoße mit Hackfleisch serviert. Typischerweise verwenden italienische Großfamilien ein langes Holzbrett, auf dem das Gericht verteilt und von allen gemeinsam verzehrt wird.

Beweise für die Gemüseliebe der Cucina Povera liefert die Acquacotta, die übersetzt schlicht „gekochtes Wasser“ heißt. Hier kommen alle möglichen Gemüsesorten in den Topf, die gerade verfügbar sind. Auch eine Caponata, sizilianisches Schmorgemüse, eignet sich perfekt, wenn das Gemüsefach im Kühlschrank geleert werden muss.

Aus Gemüse bereiten die Italiener gern so schlichte wie geniale Gebäcke zu. Die Zucchini-Scarpaccia beweist das eindrücklich. Mit einer Handvoll einfachster Zutaten zauberst du eine knusprige Kreation, die keine Wünsche offenlässt. Auch eine herzhafte Erbazzone ist dafür ein gutes Beispiel. Der Gemüsekuchen wurde gern von Bauern auf dem Feld als praktisches Mittagessen verzehrt.

Die italienische Küche hat auch weniger bekannte Pastagerichte hervorgebracht

Doch was hat die Cucina Povera in Sachen Pasta zu bieten? Schließlich ist die italienische Küche dafür doch bekannt. Keine Sorge, auch hier hat die Cucina Povera einige tolle Gerichte mit zum Teil ungewöhnlichen Geschmackskombinationen hervorgebracht. In Norditalien findet sich ein besonders rustikaler und sättigender Vertreter: Pizzocheri. Mit Pizza haben diese Nudeln nichts zu tun, sie bestehen aus Buchweizenmehl, die mit Gemüse serviert werden, die vor der Haustür wachsen: Kartoffeln und Wirsing. Auch die Trofie mit Zucchini und Garnelen aus Apulien solltest du probieren. Besonders sättigend und lecker ist Pasta e ceci: Nudeln mit Kichererbsen.

Haben die einfachen Leute nie genascht? Natürlich, auch süße Gerichte finden sich in der Cucina Povera. Der Castagnaccio ist der älteste Kuchen Italiens und besteht aus Esskastanienmehl. Bis heute sagt man in Italien, dass ein Kastanienbaum eine Familie durch den Winter bringt. Und obwohl das Rezept schon Jahrhunderte alt ist, erfüllt es moderne Bedürfnisse: Er ist vegan und glutenfrei. Das gilt auch für Biancomangiare, ein ebenfalls aus dem Mittelalter stammendes Rezept für Mandelpudding.  

Früher war alles besser? Die Antwort lautet wie so oft: Jein. Ein Blick in die Vergangenheit für Inspiration lohnt sich immer. Schließlich wollen wir alle das selbe, damals wie heute: gut essen und genießen.